Unter der Lupe: Schottlands Rum-Geschichte / Teil I

Rum erfreut zunehmend auch die Gaumen von eingefleischten Whiskyfans, und Rumfass-Finish sind längst keine Seltenheit mehr. Und so zahlreich wie die Whisky- und Rum-Destillerien sind, so zahlreich sind auch die Mythen, die beide Getränke umgeben. Eine dieser Mythen ist die Behauptung, dass in Schottland traditionell immer nur Whisky gebrannt wurde.  Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus, und hält so manche Überraschung für uns bereit. Mehr als hundert Jahre lang war der Clyde ein Zentrum der Rum-Produktion. Begeben wir uns also auf Spurensuche nach dem schottischen Rum. 



Die Zuckerinsel

Beginnen wir unsere Spurensuche dort, wo der Rohstoff angebaut wurde, der für Rum benötigt wird: in der Karibik. Heute spielen die "Inseln über dem Wind" (St. Kitts, Nevis, Antigua, Montserrat, Dominica) bei der Rum- und Zuckerherstellung nur noch eine untergeordnete Rolle. Das war vor über dreihunder Jahren ganz anders. Die kleinen Antillen waren das frühe Zentrum der britischen Zucker- und Rumproduktion. Doch die Plantagenbesitzer kamen nicht nur aus England. Auch die Schotten hatten hier recht schnell einen  Fuß in der Tür.

Schon ab 1603 wurden die Inseln St. Kitts und Nevis von Großbritannien aus besiedelt, und 1623 ließ sich eine Gruppe von Kolonisten unter der Obhut des schottischen Lord James Hay of Kinglassie auf St. Kitts nieder. Die benachbarten Inseln Antigua und Montserrat wurden ab 1632 kolonialisiert. Bald stellten sich erste wirtschaftliche Erfolge ein, und bereits in den 1640er Jahren segelten schottische Schiffe vom Clyde regelmäßig zu den kleinen Antillen, um enge Handelsbeziehungen mit der Karibik aufzubauen. Als die beiden Schotten James Milliken und William McDowall Mitte der 1690er Jahre auf der Karibik-Insel Nevis ankamen, war der Zuckerrohr-Anbau dort fest etabliert, und die Insel verfügte nach jahrzehntelanger britisch-französischer Siedlungstätigkeit bereits über eine beachtliche Infrastruktur.




In der Frühphase der Kolonialisierung experimentierten die Neusiedler zunächst mit einer Vielzahl von verschiedenen Feldfrüchten und Tabak. Der Durchbruch kam in den 1660er Jahren, als man erste Erfolge mit dem Anbau von Zuckerrohr erreichte. Auch Schottland profitierte von diesem wirtschaftlichen Fortschritt in der Karibik. Schon 1669 wurde in Glasgow das erste "Zuckerhaus" errichtet, um den Rohzucker aus der Kolonie zu weißem Feinzucker weiter zu verarbeiten. Innerhalb weniger Jahren eroberte das Zuckerrohr alle  karibischen Inseln.

In der schottischen Heimat schossen im gleichen Zeitraum eine Vielzahl von Zucker-Raffinerien aus dem Boden, die sich  entlang des Clyde ansiedelten. Einer der bekanntesten Zuckerrohr-Pflanzer war damals der Schotte William Colhoun, der seit 1680 Zucker von St Kitts nach Glasgow verschiffte. Doch es sollte das Verdienst von Milliken und McDowall sein, dass Glasgow im 18. Jahrhundert zum bedeutensten Zucker-Umschlagplatz in Großbritannien wurde. Damit einher ging auch eine ausgedehnte  Rum-Produktion. Doch bevor wir uns den damals entstandenen Rum-Destillen am Clyde widmen, wollen wir zunächst noch einen tieferen Blick auf die Karibik werfen, wo die Grundlagen für die schottische Rumproduktion gelegt wurden.

Ehemalige Siedepfannen einer Zuckerrohrplantage (.New River plantation, Nevis).  International Slavery Museum, Liverpool.

Die dunkle Seite der Macht

Die ersten Siedler auf Nevis waren einfache Farmer gewesen, die ihre Anwesen mit Hilfe von irischen und schottischen Zwangsarbeitern bewirtschafteten, die zum großen Teil gewaltsam auf die leeward gelegenen westindischen Inseln gebracht worden waren. Doch nur wenige von ihnen kamen mit der extrem harten Arbeit in tropischer Hitze zurecht. 

Für die Bewirtschaftung der Zuckerrohrplantagen musste man eine andere Lösung finden, und ab den 1660er Jahren wurden versklavte Afrikaner zu tausenden über den Atlantik verfrachtet, um sie auf den Sklavenmärkten an die Plantagenbesitzer aus London, Bristol oder Glasgow zu verkaufen. 

1680 lebten etwa 1.500 Weiße auf St. Kitts, und ebensoviele versklavte Arbeitskräfte aus Afrika. 1720 betrug die Zahl der weißen Siedler 2.740 Personen, denen 7.321 Sklaven gegenüber standen. Die Antillen-Inseln "über dem Wind"  waren schon bald besonders berüchtigt für die harte Behandlung der Sklaven, und mehr als 40% der Neuankömmlinge aus Afrika starben hier innerhalb eines Jahres.

Zuckerrohr-Ernte. Quelle unbekannt.


Einer der Gründe für die extrem harten Bedingungen lag wohl in der Art und Weise der Landvergabe. Anders als in den nordamerikanischen Kolonien wurde das Land hier nicht zum Verkauf angeboten, sondern konnte von den Neusiedlern nur auf unbestimmte Zeit gepachtet werden. 

Fiel man in Ungnade bei der Obrigkeit, konnte der Gouverneur der Inseln die Ländereien jederzeit einziehen und einem Mitbewerber zusprechen. Ein solches Landvergabesystem bietet nur wenig Anreiz, langfristige Investitionen zu tätigen und sich dauerhaft anzusiedeln. 

Die Motivation der Siedler war hingegen hoch, die Plantagen möglichst schnell optimal auszubeuten, und dann mit dem gewonnenen Reichtum nach Hause zurückzukehren. Und reich werden konnte man hier zweifelsohne. 

Zuckerkocher im Siedehaus, Antigua. Links die Siedepfannen, rechts die Kühlbecken. William Clark, ca. 1823

Schottische Kolonial-Herren

Erst in jüngerer Zeit hat die schottische Geschichtsforschung angefangen, die Rolle von Schotten bei der Kolonialisierung zu untersuchen. Das traditionelle Bild, dass die koloniale Macht nur in den Händen von Engländern lag, muss inzwischen revidiert werden. Schon lange vor dem Zusammenschluß von Schottland und England im Jahr 1707 war eine Vielzahl von Schotten mit großem wirtschaftlichem Erfolg in den neu gewonnenen britischen Kolonien unterwegs, und nicht wenige von ihnen wurden gesellschaftlich hoch geachtete Mitglieder der neu entstandenen britischen "Plantocracy", der Plantagen-Aristokratie. Sie sollten später die Entwicklung von Glasgow entscheidend mit beeinflussen und mit dazu beitragen, dass Glasgow zur zweitmächtigsten Stadt im Britischen Empire aufsteigen konnte - und sie halfen mit, dass Rum in den folgenden Jahrzehnten einen Siegeszug rund um die Welt antreten konnte. Folgen wir also noch eine Weile ihrer Karriere als Plantagenbesitzer.

Männer wie William Colhoun wurden zum Türöffner für die zweite Generation von jungen Schotten, die in der Karibik ihr Glück versuchten. Unter ihnen befanden sich auch Major James Milliken und Colonel William McDowall. Beide Männer waren kurz nach der Phase der Restauration geboren, und befanden sich 1707 auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten. Beide begannen ihre Karriere Mitte der 1690er Jahre als Lehrlinge auf Zuckerrohr-Plantagen auf der Insel Nevis. Die großen Plantagen setzten damals bereits hunderte von Sklaven zur Feldarbeit ein, und es war die Aufgabe der jungen Schotten, die auf der Insel ankamen, die Sklavenarbeit zu kontrollieren und für eine maximale Ausbeute bei der Zuckerproduktion zu sorgen.

Plantage auf den Westindischen Inseln. Rechts die Windmühle, links die Sklavenunterkünfte.Quelle unbekannt

Als James Milliken die Witwe des verstorbenenen Plantagenbesitzers Thomas Tovey heiratet, gelingt ihm der Sprung vom Plantagen-Aufseher in die höheren Gesellschaftskreise der Insel. 1707 besaß er eine beachtliche Plantage auf Nevis mit 112 Sklaven. Da viele der englischen Plantagen-Besitzer den größten Teil ihrer Zeit in der britischen Heimat verbrachten und nur selten auf ihren Plantagen weilten, gelang es Milliken in den folgenden Jahren, als Verwalter für die abwesenden Landlords seinen Einfluß und sein Vermögen gewaltig zu steigern.

Battle of St. Kitts, 1782. Blick von Nevis auf St. Kitt's. Im Vordergrund Plantagenanlagen auf Nevis


Auch William McDowall konnte seinen  Einfluß weiter ausbauen und 1707 bewirtschaftete er eine kleine Plantage auf St Kitts. Dazu erwarb er zunächst ein dutzend Sklaven, denen schon bald hunderte von weiteren Sklaven folgen sollten. McDowall und Milliken waren nicht die einzigen Schotten, die vor 1707 - dem offiziellen Jahr der Union - auf den kleinen Antillen ankamen, doch sie sollten in späteren Jahren sehr einflußreich werden.  

1712 erhielt McDowall eine große Zuckerplantage bei Canada Hills zugesprochen, die sich zuvor in französischem Besitz befunden hatte. Die Plantage war etwa zwei Meilen von der Hauptstadt Basseterre entfernt und umfasste ein stattliches Wohnhaus, zwei Mühlen, Siedehaus, Trockenhaus und Brennhaus. Um sie zu bewirtschaften, waren 120 Sklaven vonnöten. Auch Milliken erhielt eine ehemals französische Plantage auf St Kitts, die an der westlichen Seite des Monkey Hills befand, und siedelte in der Folgezeit mit seiner Familie von Nevis nach St. Kitts über.

Dank intensiver wissenschaftlicher Forschungsarbeiten der jüngeren Vergangenheit wissen wir inzwischen recht genau, wie sich das Leben und Arbeiten auf den Zuckerplantagen damals gestaltete. Gut dokumentiert sind beispielsweise die Plantagen "Betty's Hope" auf Antigua, "New River" auf Nevis  oder "Wingfield Estate" auf St. Kitts.

Frühe Zuckerrohr-Plantage in der Karibik (französische Antillen) mit Siedehaus und Ochsenmühle. Der beim Mahlen gewonnene Zuckerrohrsaft fließt durch natürliche Schwerkraft zunächst in ein Sammelbecken und dann in die Siedepfannen im Siedehaus, wo er zu Zuckerkristallen eingekocht wird. Quelle unbekannt, ca. 1654

(wird fortgesetzt).





Der vorliegende Beitrag erschien erstmals am 26.02.2018 in meinem Whisky-Blog.

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