Unter der Lupe: Schottlands Rum-Geschichte / Teil III

 Rum erfreut zunehmend auch die Gaumen von eingefleischten Whiskyfans, und Rumfass-Finish sind längst keine Seltenheit mehr. Und so zahlreich wie die Whisky- und Rum-Destillerien sind, so zahlreich sind auch die Mythen, die beide Getränke umgeben. Eine dieser Mythen ist die Behauptung, dass in Schottland traditionell immer nur Whisky gebrannt wurde.  Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus, und hält so manche Überraschung für uns bereit. Mehr als hundert Jahre lang war der Clyde ein Zentrum der Rum-Produktion. Begeben wir uns also auf Spurensuche nach dem schottischen Rum. 

Teil III


Sklaventröster, Freiheitskämpfer und Globetrotter



Vielleicht stand die "Wiege" der Rumproduktion tatsächlich in Brasilien. Vielleicht hatten tatsächlich die frühen portugiesischen Zuckerrohrpflanzer ihre Brennblasen aus Madeira mitgebracht, wie man es gelegentlich in der einschlägigen Literatur lesen kann.


Vielleicht waren es aber gar nicht die Portugiesen, sondern die Holländer gewesen, die von 1624 bis 1654 in Brasilien eine Kolonie unterhielten. Vielleicht haben tatsächlich holländische Zuckerrohr-Planzer, die aus Holländisch-Brasilien vertrieben wurden, nach 1654 die Kunst der Destillation nach Barbados und in die englischen Kolonien gebracht.


Die Interessen der Branntweinproduzenten im Mutterland hemmte schon bald die Entwicklung einer Alkoholindustrie in der Kolonie.  1659 ordneten die Behörden in Lissabon die Zerstörung aller Brennblasen in Brasilien an. Die Maßnahme erwies sich zwar nicht als besonders erfolgreich, und der brasilianische Cachaça entwickelte sich in der Folgezeit zu Brasiliens Nationalgetränk, das vor allem bei den Sklaven, Seeleuten und unteren Schichten beliebt war. Doch ein internationaler Siegeszug rund um die Welt blieb dem brasilianischen Zuckerrohrbrand versagt. Es sollte der bitische Rum sein, der später die Welt eroberte.

Auch in Frankreich wurde die Rumproduktion zugunsten des einheimischen Brandweins geopfert. Als während der lange andauernden Kriege zwischen Frankreich und England (1689-1815) der Import von französischen Waren nach England vom  Parlament verboten wurde, hatte diese protektionistische Maßnahme auch große Auswirkungen auf den Spirituosenhandel. Die französischen Brandy-Produzenten verloren mit England einen wichtigen Absatzmarkt  und setzten nun ihrerseits ein Brennverbot für ihre Kolonien durch, das ihren Brandy vor französischem Übersee-Rum schützen sollte. Es war für lange Zeit das Ende des französischen Rums.

Die französischen Zuckerproduzenten verkauften als Folge ihre nun für sie nutzlos gewordene Melasse zu günstigen Preisen und in großen Mengen an ihre nordamerikanischen Nachbarn, die nun ihrerseits selbst riesige Mengen an illegalem Rum brennen konnten, statt den Rum teuer aus den britischen Kolonien  einführen zu müssen. Die große Zeit der Rum-Schmuggler begann.

Der Ärger mit dem britischen Mutterland ließ nicht lange auf sich warten, und mit dem  Melasse-Gesetz von 1733 erhob man zusätzliche Steuern bei der Einfuhr von französischer Melassen. Damit goß die britische Regierung jedoch Öl in das Feuer der amerikanischen Freiheitskämpfer. Es war nicht nur die Teesteuer, die den Widerstand der amerikanischen Siedler gegen die britische Obrigkeit schürte. Doch das ist wieder eine andere Geschichte. Kehren wir zurück zu den englischen und schottischen Rum-Destillateuren in der Karibik.

Schon bald hatten viele Plantagen auf den karibischen Inseln Brennhäuser eingerichtet. 1750 wurden bereits 4,5 Millionen Liter Rum auf die Britischen Inseln exportiert. Die Brennmethoden variierten dabei zwischen den Inseln. Vor allem bei der Fermentierung der Molasse gab es Unterschiede.


Auf den Inseln "unter dem Wind" wurde in Fermentierungs-Zisternen zunächst eine Maische aus 1/3 Scummings, 1/3 Dunder (oder Lees) und 1/3 Wasser angesetzt. Nach 24 Stunden wurden dann 6 Gallonen Melasse auf 100 Gallonen dieser fermentierten Flüssigkeit hinzugefügt. Zwei Tage später wurden noch einmal 7 Prozent Melasse dazugegeben. Nach sechs bis acht Tagen konnte destilliert werden. (Rees, 1819). Der Einsatz von Dunder ist auf Barbados bereits 1707 nachweisbar.


Die britischen Inseln  St. Kitts und Nevis kannten solche Fermentierungs-Zisternen nicht. Auf St. Kitts war es hingegen gängige Praxis, Salz oder Meerwasser vor der Destillation hinzuzufügen. Zudem war der Anteil an Scummings auf den Inseln über dem Wind immer deutlich größer als der Anteil an  Melasse.

Der irisch-stämmige Plantagenbesitzer Samuel Martin betrieb 1756 eine Plantage auf Antigua. Sein Rum Rezept ist überliefert: ein Drittel Scummings, ein Drittel Waschwasser vom Reinigen der Brennblasen und ein Drittel Dunder wurden zum Fermentieren angesetzt, nach 24 Stunden wurde Melasse zugefügt.

Für Jamaica ist folgende Rezeptur überliefert: "6 gallons of Molasses, 36 gallons of scummings, 50 gallons of dunder, 8 gallons of water" (Thomas Webster, 1845). Um ein feineres Aroma zu erhalten, wurde die Menge des Dunder reduziert. Auf diese Art konnte eine Plantage auf je ein  Hogshead (Fass) Zucker zusätzlich etwa 70 bis 80 Gallonen Jamaica Rum proof produzieren.

Archäologische Ausgrabungen konnten auf der Sugarloaf Plantage auf der Insel Dominica, die  enge Beziehungen zu St. Kitts und Nevis unterhielt, ein Brennhaus mit angrenzender Zisterne nachweisen. Sugarloaf wurde 1763 von den Iren John Blackall und Nicholas Comyn gegründet. Über den Verwendungszweck der Zisterne ist bisher nichts bekannt. Da Dominica nicht weit entfernt von den westward gelegenen Inseln ist, könnte es  durchaus eine Fermentierungszisterne gewesen sein. 


Grundriss der Sugarloaf Plantage auf Dominica. Archäologische Ausgrabungen konnten auch ein Brennhaus mit Zisterne nachweisen. Quelle: digital Archaeological Archive of Comparative Slavery

Heute sind von diesen frühen Rum-Brennereien auf den Inseln über dem Wind nur noch Ruinen übrig, und Archäologen und Heimatforscher haben erst in jüngeren Jahren begonnen, diesen Relikten aus der Frühzeit der Rumproduktion ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Auf der ehemaligen Plantage Wingfield Estate auf St. Kitts wurde 2013 die ehemalige Brennerei aus der Zeit vor 1685 freigelegt, und die Forschungsergebnisse sorgten für eine Überraschung. Die Brennerei gilt als die derzeit älteste, bekannte Rum-Destillerie in der Karibik. Zudem entdeckte man, dass der Rum früher durch eine Bleileitung floss. Das mag vielleicht eine Erklärung dafür liefern, warum damals die Krankheitsrate unter den auf der Insel stationierten Soldaten besonders hoch war; sie litten möglicherweise an einer Bleivergiftung. Den Beinamen "Kill Devil" trug der karibische Rum scheinbar nicht ohne Grund.

St. Kitts, ca. 1782

Die frühen Plantagen-Besitzer mussten mit einer Vielzahl von Herausforderungen zurecht kommen. Hurrikane und Dürreperioden gefährdeten immer wieder die Ernte, Skavenaufstände,  Piratenüberfälle und Krankheiten machten ihnen das Leben zusätzlich schwer. 1721 sorgte ein neuer Gouverneur für weitere Unruhen, indem er neue Pachtverträge und neue Landverteilungen ankündigte. Auch McDowall  musste befürchten, große Teile seiner Plantage zu verlieren, und die nächsten Jahre investierte er sehr viel Zeit in Petitionen an den englischen König, den Duke of Newcastle und andere einflussreiche Persönlichkeiten. Der Einsatz zahlte sich aus, seine Plantage blieb ihm erhalten.


Doch die unsicheren Landbesitz-Verhältnisse auf St. Kitts veranlassten ihn, in seine Heimat zurückzukehren und sein Vermögen in schottische Unternehmen zu investieren. Zunächst erwarb er Shawfield Mansion, Glasgow's älteste koloniale Villa, die 1712 erbaut worden war. Wenig später kaufte er Schloss Semple und ein Großteil von Lochwinnoch, das bis dahin Lord Semple gehört hatte. Doch damit nicht genug: 1726 erwarb er auch Anteile an Daniel Campbell's Zuckerraffinerie in Glasgow, dem "South Sugar House". Wie viele andere Plantagenbesitzer in der Karibik hatte auch McDowall St. Kitts den Rücken zugekehrt und ließ von nun an seine überseeischen Besitzungen von Verwaltern und Verwandten bewirtschaften, um sich stattdessen in der heimischen Zuckerproduktion zu engagieren.


Verlassen wir nun also die Zuckerinsel St. Christopher's, wie St. Kitts früher hieß und begeben wir uns endlich an den Clyde, wo die braune Ware aus der Karibik schon früh das Leben der Menschen versüßen sollte.





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