Unter der Lupe: Schottlands Rum-Geschichte / Teil II

Rum erfreut zunehmend auch die Gaumen von eingefleischten Whiskyfans, und Rumfass-Finish sind längst keine Seltenheit mehr. Und so zahlreich wie die Whisky- und Rum-Destillerien sind, so zahlreich sind auch die Mythen, die beide Getränke umgeben. Eine dieser Mythen ist die Behauptung, dass in Schottland traditionell immer nur Whisky gebrannt wurde.  Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus, und hält so manche Überraschung für uns bereit. Mehr als hundert Jahre lang war der Clyde ein Zentrum der Rum-Produktion. Begeben wir uns also auf Spurensuche nach dem schottischen Rum. 


Teil II

Höllenarbeit - Elend und Schmerzen


Ein wichtiger Teil der Feldarbeit einer Plantage bestand darin, das Land von der ursprünglichen Vegetation zu befreien und das Zuckerrohr anzupflanzen. Diese Arbeit erforderte wenig Vorkenntnisse, und es wurden zumeist jene Sklaven eingesetzt, die neu auf der Insel angekommen waren. Sie standen in der Hierarchie der Plantage an unterster Stelle, und litten unter der höchsten Sterblichkeitsrate.

 Feldsklaven arbeiteten zumeist in kleinen Gruppen von jeweils 10 Personen, die von einem weißen Aufseher überwacht wurden. Es waren vor allem mittellose, junge Söhne der schottischen Bauern, die sich mangels besserer Alternativen zu einem solchen Job auf den britischen Sklaven-Plantagen verdingten. Auch der schottische Nationaldichter Robert Burns hätte während einer finanziellen Notlage fast eine eine Stelle als Aufseher auf einer Zuckerrohr-Plantage angenommen. In buchstäblich letzter Minute verhinderte das Angebot eines Buchverlages, dass Burns in die Karibik davonsegelte. 

Die Erntezeit war die härteste Arbeits-Phase auf der Plantage. Das Rohr wurde von Hand knapp über dem Boden abgeschnitten da hier die Saccharose-Konzentration am höchsten war. Gute "Rohrschneider" waren sehr angesehene und erfahrene Sklaven, denn von ihrer Arbeit hing die Höhe des Ertrags in entscheidendem Maße ab.

Zuckerrohr-Presse. Links der allgegenwärtige Sklaven-Aufseher.

Nach dem Schnitt muß das Zuckerrohr innerhalb von 24 Stunden zur Plantagenmühle gebracht und gepresst werden, da es andernfalls zu gären beginnt. Oft mussten die Sklaven die ganze Nacht durcharbeiten, denn je schneller das Rohr gepresst wurde, desto höher war der Ertrag. Angetrieben wurden die Mühlen in der Anfangsphase von Ochsen, später wurden Windmühlen zum vorherrschenden Energielieferant. Das Zuckerrohr wurde zwischen großen Stein- oder Metallzylindern gepresst, und musste von Hand eingeschoben werden.

Diese Arbeit war sehr gefährlich, denn wenn nur ein Finger zwischen die steinernen Rollen geriet, so zog die Maschine meist auch den Rest des Körpers hinein. Bei jeder Mühle hing aus diesem Grund an der Wand eine Axt, um im Notfall den Arm des unglücklichen Mühlenarbeiters, der von den Mühlrädern gefangen wurde,  abhacken zu können.

Die gepressten Stängel, "Bagasse" genannt, wurden zum Trocknen in die Mühle geworfen, bevor sie als Brennstoff in den Siede- und Destillationsöfen verwendet wurden.

Der bei der Zermahlung des Zuckerrohrs austretende Zuckerrohrsaft musste jetzt zügig weiter verarbeitet werden, da er in der tropischen Hitze innerhalb von 20 Minuten zu fermentieren begann. Der Saft  tropfte in einen  Sammelbehälter  unter beziehungsweise neben der Mühle und wurde durch einen Kanal zum Siedehaus geleitet, wo sich offene Metall-Pfannen befanden, die von unten beheizt wurden. Die Pfannen waren in einer Reihe von drei bis fünf Stück angeordnet, die jeweils immer kleiner wurden. Hier wurde der Zuckerrohrsaft in mehreren Etappen erhitzt und eingekocht. Dabei entstand ein dicker Schaum, der Scummings oder auch Skimmings genannt wurde, und den man abschöpfte. Am Ende kam der flüssige Zucker aus der letzten Pfanne in Kühlbecken, wo er auskristallisieren konnte.

Die Zuckerköche genossen den höchsten Respekt auf einer Plantage, denn ihre Arbeit verlangte große Fertigkeiten. (Dieser Respekt drückte sich auch in ihrem materiellen Wert aus: Als Ann Hacket, eine Plantagenbesiterin auf St. Kitts, während der französischen Überfälle einen ihrer Zuckerköche namens Jack verlor, machte sie bei ihrer Versicherung einen Schaden von 60 Pfund geltend - mehr als das Doppelte des Standard-Preises - und nannte ihn "a good boyler and clayer of sugar".) Am Ende des Arbeitsprozesses wurde der Sirup in eine große Pfanne zum Kühlen gefüllt.

In dem französischen Teil der Antillen wurde der Zucker zumeist in konischen  Tongefässen "entwässert", was zu der typischen Form der Zuckerhüte führte. Die Britischen Plantagenbesitzer benutzten stattdessen Holzfässer. Liverpool Museum.


Danach wurde der Rohzucker viele Wochen in speziellen Gefäßen im Curing  House zur "Entwässerung" gelagert. Die französischen Plantagenbesitzer verwendeten dazu meist spezielle Tongefäße, die konisch zuliefen und dem fertigen Zucker die Form eines "Zuckerhuts" gaben.

Auf den britischen Plantagen wurde der Rohzucker  in Holzfässer gefüllt, die an speziellen Aufhängungen befestigt wurden. Zuvor hatte man die Fässer mit Löchern angebohrt, und diese Löcher dann wieder mit Blättern des Zuckerrohrs verstopft. An den Blättern entlang konnte eine dunkelbraune, sirupartige Flüssigkeit heraustreten, die sogenannte Melasse. Sie wurde aufgefangen und anschließend als Viehfutter genutzt oder zu Rum destilliert.

Am Ende wurde der trockene Rohzucker  in große Fässer (Hogsheads) gefüllt und noch vor Beginn der Hurrikan-Season im Juli nach Großbritannien verschifft.

Nachtschicht vor dem Siedehaus. Bagasse zum Anfeuern der Öfen wird angeliefert. Antigua,
William Clark, ca. 1823

Höllentrank: "Kill Devil"

Die bei der Herstellung des Rohzuckers als Nebenprodukt entstandene Melasse wurde anfänglich als Viehfutter eingesetzt, doch viele der Plantagen richteten damals auch Brennereien ein, wo die Melasse zu Rum gebrannt wurde. Der dabei entstandene Alkohol muss ein wahrer Höllentrank gewesen sein. Er wurde schon bald unter dem Namen "Kill Devil" bekannt. Als grobe Faustregel galt, dass der Ertrag aus Rum und Molasse die Kosten für die Plantage decken sollte, und der Ertrag aus dem Zuckerverkauf der Reinerlös darstellte. Die Größe des Brennhauses variierte beträchtlich und hing von der Größe der Plantage ab. Meist wurden sie in unmittelbarer Nähe zur Boiling und Curing House errichtet, die Brennblasen hatten im Schnitt ein Fassungsvermögen zwischen 300 und 600 Gallonen, in späterer Zeit fassten sie bis 1.200 Gallonen.

Einer der Nebenprodukte, die bei der Zuckerherstellung entstanden, waren die sogenannten "Scummings", der "Abschaum". Um den Zuckerrohrsaft von Unreinheiten zu reinigen, wurde beim Erhitzen Kalk, manchmal auch Alaunwasser zugefügt, um die Säure des Zuckerrohrsaftes zu neutralisieren. Ein dicker Schaum stieg dann nach oben und nahm alle mechanischen Unreinheiten mit an die Oberfläche, wo dieser Schaum abgeschöpft wurde. Bei der Destillation wurden außer Melasse auch diese "Scummings" und mitunter auch reiner Zuckerrohrsaft verwendet. Um eine gleichmäßige Fermentierung zu erreichen, wurde auch häufig der "Dunder", also jene Flüssigkeit, die beim Destillieren in der Brennblase zurückblieb, mit zur Maische gegeben.

Wann genau zum ersten Mal Rum auf den Karibischen Inseln destilliert wurde, ist nicht genau überliefert. Jean-Baptiste du Tertre, der Martinique in den 1640er Jahren besuchte, beschrieb 1654 in seinem Buch "Histoire générale des îles Saint-Christophe, de la Guadelupe, de la Martinique et autres de L'Amerique" eine einfache Brennanlage, die er "Vinaigrerie" nannte. Sie wurde von Sklaven betrieben, die hier aus den "Scummings" Alkohol für ihren persönlichen Konsum herstellten.

Es war auf den Plantagen durchaus üblich, dass die Scummings aus der ersten Pfanne, die noch viele Unreinheiten enthielten, als Viehfutter verwendet wurden, während die Scummings aus den mittleren  Pfannen als zusätzlicher Kalorienlieferant an die Sklaven verteilt wurde. Diese Scummings wurden zur Fermentierung in Gefäßen aufbewahrt, bis sie sauer wurden, und eine Art Zuckerrohrwein entstanden war. Der Schritt zum Destillieren war dann nicht mehr weit.

Die Sklaven nannten diese Scummings übrigens "Cachaça" bzw. Cagaça. Erst in späteren Jahrzehnten wurde der Begriff auch auf das Destillat übertragen, das aus den Scummings gewonnen wurde. Heute wird mit diesem Begriff eine brasilianische Rumart bezeichnet, die aus Zuckerrohrsaft hergestellt wird und als brasilianisches Nationalgetränk gilt.

(wird fortgesetzt)


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